Romana Schuler

fiat::radikale individuen – soziale genossen

Einleitende Notizen zur Ausstellung von Thomas Feuerstein 

Fiat (lat.), I. (nach dem Schöpfungsspruch 'fiat lux!' = es werde Licht, 1. Mose 1,3): 'es geschehe!'; II. man verarbeite zu … (auf Rezepten; Med.)

Der Ausstellungstitel zitiert das göttliche Schöpfungswort, mit dem das biblische Programm der Genese und Gestaltung von Materie und Leben seinen Ausgang nimmt. Die erste Schöpfungsgeschichte endet mit der Vertreibung aus dem Paradies, welche den Beginn einer zweiten Schöpfung markiert: Damit nimmt das Projekt einer durch Wissenschaft, Technologie, Politik und Ökonomie geprägten Autoevolution und Autopoiesis von Kultur ihren Ausgang. Der gegenwärtige Zustand von Gesellschaft steht an einem Wendepunkt, an dem sich die erste Schöpfungsgeschichte der Natur mit der zweiten der Kultur kurzschließt, um eine dritte der künstlichen Natur und der natürlichen Kultur - etwa in Form der Bio-, Gen- und Nanotechnologie oder eines liberalen und scheinbar naturgesetzlichen Marktes – entstehen zu lassen.

Der englische Philosoph Thomas Hobbes suchte Staat, Gesellschaft, Recht und Moral allein naturalistisch zu begründen und aus der Triebstruktur des Individuums herzuleiten. Als Vordenker des modernen Kapitalismus und Sozialdarwinismus begriff er den Naturzustand als Kriegszustand, als den Kampf eines jeden gegen jeden. Nicht aus Nächstenliebe, sondern aus Furcht vor dem Nächsten schließen sich Menschen zusammen und bilden Gesellschaften. Der Selbsterhaltungstrieb legt die Basis für einen pragmatischen Gesellschaftsvertrag, der durch eine außenstehende souveräne Instanz, den Staat, sanktioniert wird. Der Staat regelt und ordnet die Gemeinschaft der Individuen und wird durch Leviathan, ein im Buch Hiob beschriebenes Ungeheuer, versinnbildlicht, dessen Körper sich im gleichnamigen Werk von Thomas Hobbes aus der Körperschaft der Bürger zusammensetzt und vom Haupt des über alle wachenden Herrschers bekrönt wird.

Mit 'homo homini lupus' – der Mensch ist des Menschen Wolf –, jenem von Plutarch entlehnten Aphorismus, warnt Hobbes antizipatorisch vor dem darwinschen Gesetz eines survival of the fittest. Es ist nicht das Einzelwesen in der Wildnis der entfesselten Konkurrenz, das Handel, Märkte und Wohlstand schafft, sondern das Staatswesen, das für eine prosperierende Sozietät zum Vorteil aller sorgt, wodurch nach Hobbes der 'Mensch des Menschen Gott' wird. Als mythologischen Gegenspieler des Leviathan wählt Hobbes das vierfüßige Monster Behemoth als Symbol des Bürgerkrieges und des zerfallenen Staates.

Im Mittelpunkt der Ausstellung von Thomas Feuerstein stehen zwei korrespondierende Installationen, die das gesellschaftliche Spannungsfeld zwischen Individualität und Sozietät im Kontext der angesprochenen dritten Schöpfungsgeschichte untersuchen. Über zwei Metaphern aus der Biologie werden Fragen nach dem Befinden und der Zukunft des Menschen und seinen Gesellschaftsformen aufgeworfen. Die Arbeit Leviathan - eine Staatsqualle als Metapher für einen sozialen Metaorganismus - bezieht sich zum einen auf das biblische Seeungeheuer, zum anderen auf Hobbes' gleichnamiges Werk und nimmt darüber hinaus auf einen Hydrozoenkörper Bezug, der sich in der Natur aus Tausenden Polypen aufbaut. Vergleichbar einem Bienenvolk oder einem Ameisenstaat stellen Staatsquallen im Unterschied zu gewöhnlichen Medusen eine schwimmende Kolonie ausdifferenzierter Individuen dar. Der von wechselnden Farben durchflutete Leviathan setzt sich bei Feuerstein aus über zehntausend Kristallsteinen zusammen und verweist auf die älteste Beschreibung von Gesellschaft als Netzwerk: das Netz des Gottes Indra. Gesellschaft wird in diesem hinduistischen Mythos als ein Netzwerk begriffen, das aus einer Vielzahl facettengeschliffener individueller Diamanten gebildet wird, von denen jeder nur im gegenseitigen Wechselspiel leuchtet. Singularität erstrahlt in der gemeinschaftlichen Reflexion des Lichtes, das von einem Kristall zum nächsten weitergeleitet und potenziert wird: fiat lux wird hier zu einem doppeldeutigen enlightenment. Das Lichtobjekt Leviathan, das durch seine Präzision und Schönheit im klassischen Sinne besticht, ist bei Feuerstein kein ästhetischer Selbstzweck. Es treibt ein kritisch-ironisches Spiel mit der Apotheose eines absoluten Staates im Sinne von Thomas Hobbes, der die Geometrie des Euklid als Vorbild für die Präzision und Ordnung seiner Staatsmaschine heranzog. In Anbetracht der ökonomischen Liberalisierung und einer Politik, die Solidiarität gegen Subsidiarität tauscht, erfährt die naturalistische Begründung sozialer Prozesse eine brisante Aktualisierung. Individualität und Sozietät im Feld einer zur Biopolitik gewandelten Staatsführung werden zu den entscheidenden Eckpunkten eines gesellschaftlichen Dispositivs, in dem die Kämpfe um Recht und Moral, Fundamentalismus und soziale Gleichheit ausgetragen werden. Was dabei verhandelt wird, ist ein Gesellschaftsvertrag, der wie bei Hobbes entweder von der Gleichheit der Individuen, unabhängig von Besitz und Macht ausgeht, oder Krieg riskiert.

Die Arbeit Behemoth (als Heifer) zeigt die chimärenartige Figur eines Laboranten auf einer Sandbank liegend vor vier Bildtafeln. Das Mischwesen aus Kuh und Cowboy verweist assoziativ auf Phänomene der Kulturgeschichte, die vom Mad Scientist bis zum frontier spirit, vom Cowboy der Prärie bis zum Space- und Cybercowboy reichen und nimmt auf fundamentalistische Strömungen Bezug, wie sie nicht zuletzt die US-amerikanische Politik bestimmen: Behemoth, der in biblischer Tradition meist als Stier abgebildet wird, wird bei Feuerstein zu einer roten Kuh, die in Form der Heifer für fundamentalistische Christen und Juden die Ankunft des Messias und die eschatologische Endzeit ankündigt. In den vier zu Bioreaktoren adaptierten Bildtafeln schreiben immortale Tumorzellen in einem speziellen Nährmedium und mit Markerfarbstoff versehen die Lettern des Wortes fiat. Eine Gasflasche versorgt die Zellen mit einem Sauerstoffgemisch, das exakt dem Verhältnis des venösen menschlichen Blutes entspricht, und eine Heizpumpe an den Rückseiten der Bilder temperiert die Zellen auf Körperwärme. Tumorzellen werden in diesem Zusammenhang als radikale Individuen verstanden, die aus dem Zellverband des Organismus ausscheren. Als egoistische Zellen, die nur ihre eigene Selbsterhaltung auf Kosten aller anderen Zellen anstreben, brechen sie mit dem genetischen Gesellschaftsvertrag des Körpers. Die Aussicht auf unbeschränktes metastatisches Wachstum und ewiges Leben verlagert metaphorisch den tobenden Gesellschaftskampf im Spannungsfeld von Individualität und Sozietät vom hobbesschen Staatskörper in den menschlichen Körper des Bürgers. Biopolitik evoziert hier eine doppelte Bedeutung, die uns sprichwörtlich unter die Haut geht.

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